Babiččino údolí, das Großmuttertal

Böhmen ist reich an Kultur und Geschichte. Viele bedeutende Adelsgeschlechter haben im Land unserer Nachbarn mit großartigen Bauwerken ihre Spuren hinterlassen. Denkmäler, Burgen und Schlösser zeigen dem Besucher in zahlreichen Orten, eine Vergangenheit auf, über die man oftmals nur staunen kann. Natürlich kennt jeder von uns Orte wie Prag, Karlsbad oder Marienbad. Doch gerade in ländlichen Gegenden und an für uns unscheinbaren Orten liegen Schätze verborgen, die erst bei näherer Betrachtung sichtbar werden.
Sehr oft ist es aber auch so, dass für den Besucher aus dem Westen Tschechien bei Prag endet. Dabei haben auch Nord- und Ostböhmen Schönheiten, die sich nicht zu verstecken brauchen. An einen solchen wichtigen Ort der tschechischen Geschichte wollen wir sie heute entführen – nach Ostböhmen, in die Gegend von Neustadt an der Mettau und Nachod, ins Tal Babiččino údoli oder Großmuttertal.
Unsere böhmischen Nachbarn verehren seit über 100 Jahren den Roman einer Frau, der für sie als einer der Edelsteine ihrer Literatur gilt: Babička oder die Großmutter. Autorin dieses Werkes ist eine Frau, die der deutschen Öffentlichkeit beinahe unbekannt sein dürfte: Božena Němcová (geb. 4.2.1820, gest. 21.1.1862). Sie, die aufrechte Demokratin, hat der tschechischen Literatur im 19. Jahrhundert mit ihrer neuen Sprache und dem großen schöpferischen Talent zum Realismus zum Durchbruch verholfen. Sie hat gerade mit diesem liebenswerten Roman, über eine gutmütige Großmutter, die ihre Enkel liebt, sich sorgt, an den Betten der Kinder Nachtwache hält, ein Werk geschaffen, das in Tschechien zu den Romanen zählt, die zum Nationalgut geworden sind.

Dr. Günther Jarosch, der den Roman 1955 ins Deutsche übersetzte, spricht von Božena Němcová wie folgt:
"Bedrich Smetana und Božena Němcová – die beiden größten Künstler, die das tschechische Volk hervorgebracht hat, Künstler, die diesem ihrem Volk unvergängliche Werke schenkten, der eine in Tönen, die andere im Wort. In der Oper "Die verkaufte Braut" und in der Erzählung "Die Großmutter" erblickt das tschechische Volk die schönsten Edelsteine seiner Kultur, die im Laufe der Jahrzehnte und im Wechsel der Kunstanschauungen nie ihren Glanz verloren."

Es gibt in der gesamten Literaturgeschichte wahrscheinlich nur sehr wenige vergleichbare Geschichten, das den Romanhelden, den Kindern und ihrer Großmutter, ein Denkmal setzt, das ganze Tal, in dem die Geschichte spielt unter Naturschutz stellt, die Bauwerke schützt und jährlich Hunderttausende von Besuchern diese Stätten besuchen wollen.

In dem Roman von Božena Němcová geht es um keine weltbewegenden Themen. Eine ganz normale, alltägliche Geschichte von einer Großmutter wird erzählt, die zu ihrer Tochter zieht und auf die Enkelkinder raufpasst. Sie leben in einem Forsthaus, in einem stillen Tal, in der Nähe einer Mühle, eines Dorfes und eines Schlosses. Die Autorin selbst hat dieses Tal gekannt, ebenso wie die Personen, die hier in ihrem so verehrten Roman spielen.
Da gibt es noch immer das Schloss Ratibořice, in dem die Fürstin Katharina Wilhelmine von Sagan tatsächlich wohnte. Sie war Eigentümerin der ganzen Landschaft und auch des Herzogtums Sagan in Schlesien, das im 17. Jahrhundert den Fürsten Lobkowitz gehörte. Die Fürstin von Sagan nimmt in diesem literarischen Werk eine gutmütige Figur eine, hat Verständnis für ihre Untertanen und hilft wo sie kann. In der Landesgeschichte selbst, nimmt Katharina Wilhelmine von Sagan auch eine bemerkenswerte Rolle ein. Sie verbrachte eine lange Zeit in ihrem Schloss an der schlesischen Grenze und durfte dabei bedeutende Persönlichkeiten, wie zum Beispiel den Russischen Zaren oder aber auch Fürst Metternich bewirten, denen man beiden nachsagt, sie seien ihre Liebhaber gewesen.
Natürlich, und deshalb hat man gerade dieser Großmuter ein Denkmal gesetzt, dreht sich alles um Babička - die Großmutter.
Das Naturdenkmal, in dem man natürlich nur sehr selten allein ist, wird in der Urlaubs- und Reisezeit von Tausenden von Besuchern aufgesucht. Man wandert im Tal, geht zum kleinen Wehr, besucht die alte Bleiche, eine Mühle oder wirft einen Blick in das kleine Häuschen der Großmutter. Natürlich ist auch das Schloß Ratibořice zu besichtigen. Es wurde im Jahr 1810 für Katharina Wilhelmine von Sagan im Stil des Klassizismus umgebaut. Seit vielen Jahren gehört dieses Bauwerk zu den bekanntesten und meistbesuchtesten Orten im östlichen Böhmen. Es steht auf einem etwas erhöhten Plateau, über dem Tal der Aupa. Seine Geschichte reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Nach der Schlacht am Weißen Berg gehörte es der Familie Trčka z Lipe. Der letzte Inhaber fand seinen Tod an der Seite Wallensteins, bei der Ermordung in Eger. Das konfiszierte Vermögen schenkte Kaiser Ferdinand II. dem italienische Edelmann Ottavio Piccolomini. Mit ihm ergibt sich auch eine Verbindung nach Neustadt an der Waldnaab. Der Sage nach, soll Piccolomini in Neustadt, an der Linde im Ortsteil Freyung, begraben sein. Dies hat auch Schiller in seiner Trilogie "Wallenstein" geschildert. Nach verschiedenen Besitzwechseln, unter ihnen auch die Herzogin von Sagan, gehörte es zuletzt Friedrich Schaumburg-Lippe, bevor es 1945 an den tschechoslowakischen Staat überging. 1976 wurde das Schloss und das Areal des Großmuttertales zum nationalen Kulturdenkmal erhoben.

Das Großmuttertal liegt im Osten der Tschechischen Republik, an der Grenze zu Polen, in unmittelbarer Nähe der Städte Nachod oder Neustadt an der Mettau. Ein Besuch gerade im Frühling oder auch Herbst bringt ein unvergleichliches Erlebnis, gerade wenn man zuvor den Roman über die Großmutter gelesen hat. Man schließt die Augen und sieht die Geschichte vor sich ablaufen, so als wenn diese liebenswerte alte Frau gerade mit ihren Enkelkindern und dem Hund vorübergehen würden.

Am Eingang ins eigentliche Großmuttertal hat man den wichtigsten Romangestalten von Božena Němcová, der liebenswerten Großmutter und ihren Enkeln, ein Denkmal gesetzt. Der Grundstein hierfür wurde im Jahr 1920, am 100. Jahrestag der Geburt von Božena Němcová gelegt.

Die Alte Bleiche, eines der bekanntesten Dorfhäuser in Böhmen, ist ein mit Schindeln gedecktes Holzhaus. Es stammt aus dem Jahr 1797. Hier wohnte nach dem Roman die Großmutter, behütete die Kinder und sorgte sich so manche Nacht um sie.




Das Zimmer der Großmutter wurde entsprechend der Schilderung der Schriftstellerin eingerichtet und mit zeitgenössischen Möbeln und kleinen Gegenständen ausgestattet.

Božena Němcová, die aufrechte Demokratin, ist schon im Alter von 42 Jahren verstorben. Sie hat aber mit ihrer neuen Sprache in diesem Roman "Die Großmutter" und ihrem großen schöpferischen Talent dem Realismus in der tschechischen Literatur zum Durchbruch verholfen. Leider blieb sie in Deutschland beinahe unbekannt.


Wunderschön kann der Besucher des Großmuttertales entlang des Mühlbaches wandern. Am Ende gelangt er zur Mühle. Das Gebäude stammt aus dem 18. Jahrhundert und kann wie alle anderen Gebäude auch besichtigt werden.

 

Bei einem Besuch im Großmuttertal grüßt das Schloß Ratibořice bereits von weitem. Es liegt auf einer kleinen Anhöge im Tal der Úpa, wunderschön eingebettet in Natur und Landschaft.

     
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